Interview Tab

CINÉ-CLUB II Christine Rösch

Paris, 04. April 2010, Mode

Wir sind in Paris bei Christine Rösch. Sie ist Modedesignerin und kommt aus der Schweiz, aus dem Berner Umland. Im März 2008 machte sie ihr Diplom in Mode an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel (HGK). Danach ging sie nach Paris und arbeitete unter anderem für Sonia Rykiel und für das Maison Martin Margiela. Mittlerweile wohnt sie in Antwerpen und arbeitet im Team von Raf Simons.
 

 

Ich bin gerne und stolz verkleidet im Dorf das Brot holen gegangen, doch Mode als Beruf war lange kein Thema für mich. Nach dem Gymnasium habe ich den Vorkurs an der HGK Basel gemacht und wollte an der Uni Geisteswissenschaften studieren. Als ich das Modedepartement der Hochschule betrat, habe ich eine Leidenschaft verspürt. Die Stoffe, die Materialität haben mich angezogen. Dann habe ich die Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule für Innenarchitektur, für Textildesign und für Mode gemacht. Mode war für mich die Verschmelzung der zwei anderen Bereiche, weil es um Konstruktion geht und um Stofflichkeit, in gewisser Weise auch um das Emotionale – wenn ich das so sagen kann. Die Aufnahmeprüfung war eher spielerisch oder intuitiv. Ich habe sehr direkt gearbeitet. Das Studium war viel technischer und es ging um den Kollektionsgedanken, man sprach von Konzepten.

Dich hat also von Anfang an Farbigkeit, Materialiät, Stofflichkeit interessiert, später kam noch das Konzeptuelle hinzu. Würdest du sagen, dass dies immer noch die Aspekte sind, die dich hauptsächlich interessieren?

Absolut. Als Gestalterin bin ich der Meinung, dass ich nicht etwas Nettes, Dekoratives machen will. Das ist nicht mein Beruf. Ich habe ganz klar den Anspruch, dass es um eine Vision oder um ein Statement geht. Auch wenn Mode schlussendlich Kleidung ist, ist sie mehr als etwas zum anziehen. Darum wurde und ist, wie du gesagt hast, das Konzept für mich wichtig.

Nach deinem Diplom bist du nach Paris gegangen. Dort hast du bei Sonia Rykiel assistiert.

Nach dem Studium habe ich kurz in Zürich bei Tran Hin Phu gearbeitet. Anschließend konnte ich in Paris bei Sonia Rykiel ein Praktikum machen, für die Schaukollektion. Ich bin dann länger geblieben als geplant für ein weiteres Praktikum bei einem meiner Traumhäuser, dem Maison Martin Margiela. Dort habe ich dann meinen ersten Job bekommen.

Würdest du auch sagen, dass Margiela – weil du sagst, eines deiner Traumhäuser…

…dieser Begriff…Hm. Naja, ich habe ihn auch gebraucht…

…schon immer auch eine Inspiration für dich war und es für dich nur logisch war als nächsten Schritt zu Margiela zu gehen?

Ich würde nicht sagen, dass es für mich logisch war, da ich nicht damit gerechnet habe. Doch beim Vorstellungsgespräch fühlte ich mich sofort zu Hause. Die Arbeit dort hat mich sehr geprägt. Das Team war sehr wichtig, was sicher nicht in jedem Unternehmen so wäre. Insofern war es rückblickend logisch.
Während meines Studiums waren Modehäuser keine direkte Inspiration, gerade weil ich nicht imitieren wollte. Das war mir ein Anliegen. Wenn meine Entwürfe zu sehr Margiela oder Balenciaga ähnelten, dann musste ich das verändern. Mein Ziel war es nicht die Sprachen von anderen zu sprechen. Ich bewundere große Modeschöpfer_innen und versuche zu analysieren, warum ihre Arbeit so stark ist und wie diese Prinzipien zu verstehen sind, um meine eigene Sprache zu entwickeln. Ich bin immer noch dran. Rückblickend stelle ich jedoch erstaunt fest, dass mich einzelne Kreationen immer inspirierten und begleiteten, z.B. die von Christobal Balenciaga oder auch die von Raf Simons. Somit ist die zuvor getroffene Aussage eigentlich nicht ganz richtig. Ich sehe heute meine direkten Inspirationsquellen deutlicher.

Kannst du kurz erläutern, was diese besondere Stellung oder Haltung des Maison Martin Margiela ausmacht? Auch für dich persönlich.

Also allgemein kann ich dazu sagen, was man darüber überall lesen kann und was die Ausstellung, die zum Jubiläum des Maison Martin Margiela gemacht wurde, auch zeigt. Da ist zunächst das Konzept des inkognito: Martin Margiela entzieht sich des Personenkultes der Öffentlichkeit und sagt, Mode braucht das Team. Das Maison Martin Margiela antwortet in Interviews im Plural, die nur per Fax oder per E-Mail raus gegeben werden. Dieser Teamgedanke macht das Haus aus, weil man sonst ja eine Marke sehr stark mit einer Person verlinkt. Ich will jetzt nichts verherrlichen, aber ich habe den Umgang im Team als sehr positiv und respektvoll erlebt, nicht nur als Konzept oder Marktstrategie. Der Arbeitsprozess fasziniert mich, weil dieser direkt und radikal ist. Die Mode gewinnt dadurch etwas Ehrliches und Pures. Das Haus Margiela nimmt beispielsweise Kleidung aus der Arbeitswelt oder der Tanzbranche, die jahrelang besteht und überlebt, weil sie gute Proportionen und Qualität hat. Oder Kleidungsstücke erscheinen wie auf links gedreht, die Abnäher und Nähte, letztlich das sonst versteckte Innenleben, wird sichtbar und zum auch schönen Designelement. Schlussendlich ist es eine Studie, die sich damit auseinandersetzt, was Kleidung ist und diese dazu macht. Denn erstmal ist es eine Konstruktion am Körper.
Mich interessiert die Frage, wann und warum eine Kollektion oder ein Kunstwerk kraftvoll ist. Zu verstehen, warum Dinge wirken hat mich eigentlich immer viel mehr interessiert, als die Frage wo ich jetzt welchen Zipper platziere. Ich kann mich auch in der Farbe des Fadens oder in der Stichlänge verlieren. Absolut. Mich reizt aber das Globale. Wenn man sich die YSL-Retrospektive im Petit Palais angeschaut hat, versteht man diese Kraft der Kollektionen. Sie sind meiner Ansicht nach oft nicht schön oder gefällig, doch sie sind stark, weil sie ausreizen, auskosten, Humor und Sinnlichkeit in sich tragen. Sie berühren auch, weil sie Echo der Zeit sind; aber heute sind sie immer noch aktuell. Deren Prinzip zu verstehen ist für mich der Knackpunkt.

Schaut man sich z.B. Filme aus den 1960ern an, sieht man Menschen, eine bestimmte Mode, Interieurs, Architekturen. Es sind Inszenierungen, die damals eine zeitgenössische Ästhetik besaßen. Für uns entfällt aber der Aspekt des Gewohnt-Alltäglichen. Woher kommt also die Kraft, die nicht-zeitgenössische Filme, z.b. der Nouvelle Vague, heute noch besitzen? Aus Nostalgie? Aus Retro-Begeisterung? Wirken Filme überhaupt auf dieser Ebene auf dich?

Die Kleider oder die Inszenierung?

Alles zusammen würde ich sagen, sowohl Kleider als auch Menschen und ihre Lebenswelt. Die immer noch existierende Kraft der YSL-Entwürfe, wie entsteht sie? Finde ich die Filme so toll und bin ich davon so beeindruckt, weil sie aus dieser Vergangenheit sind, der man auch ein Stück weit nostalgisch hinterher denkt und mit der man bestimmte Vorstellungen, bestimmte Träume vielleicht auch, verknüpft? Oder werden da nicht auch Dinge hervorgerufen, behauptet, dargestellt, die immer Gültigkeit haben?

Ich hake da gerade ein, weil es für mich ein aktuelles Thema ist und ich dieses mit Freunden aus der freien Kunst besprochen habe. Sicherlich sind Bilder und Filme aus einer anderen Zeit faszinierend, weil wir damit ein bestimmtes Lebensgefühl verbinden. Man taucht in die Blase ein. Dieser Effekt des Eintauchens in eine andere Realität bringt der Film vielleicht im Allgemeinen mit sich. Geht es uns nicht auch so, wenn wir andere Kulturen erleben? Mir geht es jedenfalls so. Diese Faszination für etwas, was ich noch nicht kenne.
An der YSL-Retrospektive fiel mir auf, dass es zum Teil gar nicht um Zeit geht, auch wenn jede Kreation in die jeweilige Zeit eingebettet ist. Es ging mir nicht darum, dass es alt war. Es geht auch gar nicht darum, dass ich es cool finde. Ich fand es zum Teil gar nicht cool, ich fand es zum Teil auch nicht schön. Aber das ist egal, weil es mich fasziniert hat. Und ich habe etwas verstanden, weil es eben zum Teil so logisch und so präzise gemacht wurde, und darum, glaube ich, zeitlos ist. Ich glaube verstanden zu haben, dass eine Arbeit deswegen kraftvoll und zeitlos sein kann, wenn sie sich zwar mit dem Zeitgeist auseinandersetzt, sich aber vor allem mit grundsätzlichen Fragestellungen der Gestaltung beschäftigt, welche Generationen überdauern und eben immer wieder neu gestellt werden. Klar, Yves Saint Laurent war in gewissem Sinne radikal, er erlaubte sich Vielfalt - weil er etwas zu sagen hatte.

Vielleicht können wir nochmals kurz zurück zur Wirkung von Film und der Vergangenheit.

Mich interessiert schon wie Kleidung mit Auftritt und Bewegung verbunden ist...Aber vielleicht müssen wir jetzt konkret über ein Beispiel sprechen, das kann ich nicht verallgemeinern. Gerade, da ich nicht so viele Filme schaue. Das ist eigentlich nicht so ideal. Die Kamera ist ja immer ein Blickwinkel: Wie sie die Frau zeigt, wie sie den Mann zeigt...

 …wie sie ihr Verhältnis zeigt...

…wie das Licht kommt, wie das Böse und das Gute gezeigt wird. Das ist alles inszeniert, darum möchte ich jetzt keine Schlüsse ziehen.

Natürlich passieren manchmal Sachen, die man sich gar nicht bewusst macht. Aber manchmal geht man mit und akzeptiert bestimmte Dinge einfach. Bestimmte Vorstellungen, die artikuliert werden, die über Schnitt oder über Inszenierung oder über Figurenkonstellation etabliert werden. Und dann denkt man über die Filme nach und fragt sich: Was ist da eigentlich passiert? Was ist das für ein Bild von Frau, von Mensch oder von Leben oder Gesellschaft usw.?

Ja, für mich gibt es immer so einen komischen Gap bei Film. Gestern habe ich kurz diese Szene in Jim Jarmuschs Permanent Vacation angeguckt. Die Frau sitzt am Fenster mit einer Zigarette, sie hat die Beine hochgelegt und liest. Und der Typ, der langweilt sich anscheinend und tanzt in einem mega coolen Tanzstil. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der wirklich so tanzt. Und das Verhalten der Frau ist so cool. Aber es ist so abstrakt, so surreal bezogen auf meine Welt und ich möchte sie in die reale Welt mitnehmen. Die Realität erlebe ich selten so cool, aber im Film wirkt es authentisch. Ich kopple den Film an eine Welt, die in der Realität nicht existiert, und darum Inspirationsquelle ist.

Das heißt, der Film ist für dich eine Welt, die es so in der Realität nicht gibt. Also das, was dort gezeigt wird an Welt, ist für dich einfach...

Ja, aber ich spreche ja gerade von alten Filmen...

Aber das ist ja nicht schlimm. Ich empfand das eben als schönen Gedanken. Denn trotzdem erfährt man es als eine Welt. Was haben wir neulich geguckt? - Psycho. Das ist eine Welt, die zeitlich vergangen ist. Aber man sieht sie ja trotzdem nicht als Fantasiewelt an...

Ja, aber z.B. als eine nostalgische. Wie du es vorhin beschrieben hast, als Geschichte. Manchmal sind meine Augen wie eine Kamera. Ich erinnere mich dann genau an diese „Szene“, kann sie genau beschreiben. Licht, Ton, Bewegungen einer Person und der Blickwinkel stimmen. Der Moment ist perfekt, man möchte ihn festhalten. Es ist wichtig als Machende_r für solche Momente die Augen zu schärfen. Dann finde ich Inspiration aus dem Leben. Eine sehr persönliche und aktuelle.

Und auch wenn im Film versucht wird das Gegenteil von Perfektion darzustellen, dann ist es die perfekte Darstellung der Nicht-Perfektion.

Es ist immer eine Auswahl. Außer vielleicht im experimentellen Film. Du hast Hitchock erwähnt. Die Vögel hatte für mich, auch wenn ich beim Gucken zum Teil Angst hatte, eine nachhaltige und inspirierende Wirkung.

Ich weiß.

Hab ich dir das schon mal erzählt?

Nein, aber ich weiß, dass du da Angst hattest.

(lachen)

Der Film hat seine Wirkung hinterlassen. Er ist wunderschön, wie Musik. Hitchock hat ihn wie ein Musikstück komponiert. Ich sehe darin eine Kollektion. Man wird in ein Universum versetzt und in dem kann man die eigenen Dinge machen. Darum ist Film für mich Inspirationsquelle. Aber nur, wenn er funktioniert.

Warum sind z.B. Die Vögel für dich wichtig?

Die Komposition von Bildern, die Farben, die Frische und das Gefühl dabei. Das macht bei mir so etwas wie Musik. Aber auch der Spannungsaufbau und wie das Stück seinen Verlauf nimmt, das Überraschende, die Dichte ist toll. Dementsprechend habe ich das Sich-Gruseln als positiv empfunden.
Aber was war deine Frage jetzt genau? (lacht)

Suspicion ist das, was mich auch fasziniert. Wie Hitchcock es filmisch schafft zu einem bestimmten Punkt zu kommen und die Betrachtenden dorthin mitnimmt. Oder darum weiß, wie er sie dorthin mitnehmen kann. Was mich interessiert, was gerade das Mehr für dich ist? Insbesondere in Bezug auf den Begriff des Universums – da will ich auch noch drauf hinaus, was das für dich bedeutet.

Nochmal zu dem, was Hitchock eigentlich macht. Er nimmt einen irgendwo mit hin, aber für mich ist es bei diesem Film nicht nur das. Er behauptet nicht. Der Film ist für mich nach oben offen. Ich kann das nur schwer beschreiben. Er führt mich in ein Universum und lässt mich weitergehen. Er  regt meine Phantasie an. Vielleicht ist das so einfach ausgedrückt.

Hitchock führt einen auch nicht hinters Licht. Natürlich lenkt er deinen Blick, letztlich dich. Das versteckt er aber nicht und gibt die Möglichkeit die Methoden in seiner Arbeit zu erkennen.   

Er probiert es nicht. Stimmt.

Es gibt diesen Interviewband von Truffaut und Hitchock, wo sie über Hitchcocks Filme sprechen. Und da sagt er z.B., dass er sich sehr ärgert, dass er in einem seiner Film den Boden in einem Haus durch eine Glasdecke ersetzt hat und dann von unten durch die „Decke“ gefilmt wurde. Das hat ihn im Nachhinein so gestört, weil das ein Blick ist, der normalerweise so nicht möglich wäre. Du kannst ja als Mensch nicht durch die Decke gucken und das ist...

…außer es ist Glas.

Ja, aber in dem Fall wurde kein spezielles Haus gezeigt, das einen Glasboden hatte.

Also war es ein Fake. Ich glaube, wir sind jetzt an einem Knackpunkt. Ich meine, dass gutes Design, gute Kunst mit der Frage zu tun haben, ob sie Fake sind oder nicht. Es wird zu viel Fake produziert. Ich will mich davor hüten, aber ich tue es vielleicht auch. Obwohl Hitchock seine Filme ganz präzise komponiert und klar setzt – im Übrigen haben wir auch in Bezug auf Wolfgang Tillmanns darüber gesprochen – behalten sie ihre Leichtigkeit.

Es wird auch nicht so getan, als sei es authentisch. Ich glaube, das ist ein Problem in vielen Bereichen – ich würde einfach mal behaupten auch in Bezug auf Mode, aber vielleicht würdest du  widersprechen – dass so getan wird, als sei etwas „real“ oder authentisch. Das finde ich fast noch schlimmer.

Ich stimme dir zu. Michael (Emil Michael Klein, bildender Künstler) hat erwähnt, als er sich die YSL-Ausstellung angeguckt hat – ein Bereich, mit dem er sich sonst nicht besonders beschäftigt – dass die Objekte irgendwie logisch seien. Das stimmt. Es gibt eine Art Logik, die nicht berechenbar ist, die aber aufgeht.

Das kann man auch nicht generalisieren. Aber manchmal merkt man einfach, dass etwas funktioniert.

Aber warum funktioniert dann etwas und warum nicht?

Ich glaub, dass man das von Mal zu Mal neu entscheiden muss, da es kein Rezept gibt.

Das heißt, die Zeit, die Umstände, der Kontext, die Rezipient_innen, alle Gestaltungsformen, die Position der Macher_innen kommen mit ins Spiel – und das wird dann gemixt. Es ist also ein sehr dynamischer Begriff. Es hat mit Intuition zu tun. Und mit Mut. Schlussendlich ob jemand etwas zu erzählen hat.

Dann ist es ja umso beeindruckender, wenn es Dinge gibt, die unabhängig von bestimmten Faktoren jederzeit inspirieren. Die Art der Begeisterung und die Form der Inspiration wechseln vielleicht auch. Aber so, dass man trotzdem immer noch sagen würden, dass ein Film funktioniert, aber eventuell auf einer anderen Ebene.

Ja. Es ist einfach zu sagen, alles ist dynamisch. Die Frage ist spannender, warum Dinge über Jahre hinweg stark bleiben. Und warum sind ethnologische oder folkloristische Masken auch für uns heute noch beeindruckend, obwohl sie uns so fremd sind? Vielleicht sollten wir eher darüber sprechen...

Glaubst du, es gibt da Parameter? Oder ein Patentrezept?

Wir haben gerade behauptet, dass wenn etwas nicht Fake ist, es stark sei. Und darum ist Hitchock heute noch cool, obwohl seine Filme nicht aus unserer Zeit sind. Weißt du was ich meine?

Ich weiß schon was du meinst, aber ich weiß gar nicht was ich da noch sagen soll.

Na dann die nächste Frage!

Wir haben jetzt zwei Aspekte in Bezug auf Mode und Film: Das war einmal das Universum und eine spezielle Art der Inspiration. Du sagtest auch, die Inspiration der Filmemacher_innen nachvollziehen zu können...

Nein, ich kann nicht die Inspiration der Filmemacher_innen nachvollziehen. Ich kann nur das, was sie mir anbieten nehmen und damit meine eigene Suppe kochen. Und ich kann sie noch nicht einmal nach kochen, aber ich kann mir die Zutaten von ihnen angucken...

Aber meinst du mit Zutaten, dass du einen Weg oder eine Methode übernimmst und davon ausgehend wieder etwas Eigenes schaffst? Oder beziehst du etwas konkret auf einen Film?

Ich schaue, wie sie kochen, wie sie komponieren, wie sie entscheiden.

Du hast von Farbe und Wind gesprochen.

Es ist für mich ein Gefühl. Ein Lebensgefühl oder ein Zustand, ein Körpergefühl. Und Farben vermitteln dieses.
Aber ich kann Filme ganz gut auch einfach konsumieren. Als wir Der Fremde im Zug geguckt haben – schon wieder Hitchock – habe ich mir angeguckt, welcher Winkel die Revers der Anzüge haben, wie die Anzüge geschnitten sind.
Generell schaue ich im Film aber nicht nur auf Bewegung und Kleider, nur weil ich Modemacherin bin. Im Gegenteil, ich schaue eigentlich eher auf Komposition – Kleider in Bewegung, oder im Raum, in Verbindung mit den Innen- oder Außenräumen. Aber es ist ein bisschen speziell, wenn wir von Film sprechen, denn dort ist es ja immer perfekt komponiert. Mehr oder weniger. Also z.B. dieser Film, den wir zusammen geguckt haben: Wolke 9. Die Szenen sind perfekt komponiert. Ich mag solche Filme, die so ruhig sind und dadurch viel sagen. Die Dialoge sind heruntergebrochen, sie wollen einem nicht Dinge erklären und klar machen, sondern ich glaube, dass es da mehr um die Situation der Beobachter_innen geht. Die Stille lässt auch Platz für die Komposition, die Bilder, die Farben, die mir sehr gefallen haben. Die Kleider in Verbindung mit den Räumen haben funktioniert. Diese Szene am See, die ist ja wirklich wunderschön idyllisch und trotzdem nicht verherrlichend. Es ist ja dann auch hart. Es geht ihr dort nicht gut. Ich finde, der Film bleibt so flach wie das Leben. Aber schön, wunderschön.

Für mich bietet Film schon auch oft Sicherheiten, die sonst nicht da sind. Weil es etwas mir gegenüber ist, was schon in mich eindringen kann und wovon ich mich auch so gefangen nehmen lassen kann. Bei bestimmten Horrorfilmen z.B. kann ich mich der Angst nicht erwehren, dann aber trotzdem auch entweder ausschalten oder weggucken. Du hast ja auch erzählt, dass du dir manche Filme, die zu sehr wirken, in einem kleinen Fenster auf dem Computer anschaust. Und das ist wie ein Angebot einzutauchen oder eben nicht.

Aber das liegt daran, dass es durch ein Medium geht. Das hat Kunst und Fotografie auch. Darum lassen wir höchstwahrscheinlich Poesie, Träume im Film oder in Büchern zu. In der Welt haben wir keinen Screen, dem wir uns entziehen können.

Aber trotzdem würde ich dann weiter behaupten, dass sie deswegen nicht weniger stark sind und wirksam sein können.

Im Gegenteil. Wir brauchen sie.

(längeres Schweigen)

Ist noch eine letzte Frage?

Eigentlich nicht mehr. Vielleicht nur kurz, was bedeutet es für dich Dinge gemeinsam zu tun?

Auf beruflicher Ebene: Wir brauchen einander. Es ist nicht möglich allein Mode zu machen. Der Austausch ist entscheidend, nicht zuletzt für die eigene und notwendige Positionierung. Aber auch die Diskussionen “außerhalb der Mode” sind wichtig und inspirierend. So wie dieses Gespräch. Gemeinsam Filme oder Ausstellungen anzusehen ist für mich wertvoll, weil die Eindrücke nochmals richtig ausgeschlachtet werden können. Ich komme dann zum Teil voll in Fahrt, ein bisschen mehr als andere Leute. (lacht) Darum gucke ich selten allein Filme.

D.h. wenn du Filme guckst, dann richtig.

(lacht) Dann richtig!

 

TALK
Julia Sippel, Theresa George

Filmography Tab

CINÉ-CLUB II Christine Rösch

Paris, 04. April 2010, Mode

Permanent Vacation (Jim Jarmusch, USA: 1980)

Psycho (
Alfred Hitchcock, USA: 1960)

The Birds (
Alfred Hitchcock, USA: 1963)

Strangers on a Train (
Alfred Hitchcock, USA: 1951)

Wolke 9
(Andreas Dresen, DE: 2008) 

 


Dieser Artikel war ausgesprochen eindruckvoll.
finde ebenso das Webdesign ausgesprochen fantastisch. Ich bin
froh, den beitrag hier zufällig gefunden zu haben.
Guter Artikel. Danke.

Post new comment

The content of this field is kept private and will not be shown publicly.
  • Web page addresses and e-mail addresses turn into links automatically.
  • Allowed HTML tags: <a> <em> <strong> <cite> <code> <ul> <ol> <li> <dl> <dt> <dd>
  • Lines and paragraphs break automatically.

More information about formatting options